Röhrenfabrikation und Apparatebau (ARFA)
Lina Schmid
Walter Hagen und Christian Glattfelder, ehemalige Mitarbeiter der ARFA, beschreiben die Firma in unserem Gespräch im Jahr 2017 als «Hau-Ruck-Betrieb»: Anstatt lange zu planen, wurde gehandelt. An die Stelle zeitintensiver Weiterbildungen und Forschungen trat das «learning by doing». Dies hiess aber nicht, da sind sich Glattfelder und Hagen einig, dass die Mitarbeiter innerhalb des Betriebs nicht gefördert und unterstützt wurden – im Gegenteil. Wer anpacken wollte, hatte eine Zukunft in der ARFA. Die Firma ARFA, heisst die Aktiengemeinschaft für Röhrenfabrikation und Apparatebau, befand sich rund 60 Jahre auf dem Dreispitzareal und erlebte dort Zeiten der wirtschaftlichen Prosperität und des Fortschritts, aber auch Krisenmomente und Rückschläge, welche 2013 zur Schliessung führten.
Im Jahr 2016 standen die Räumlichkeiten der ARFA bereits leer. Der Eingang zu einer Lagerhalle erinnert noch an die Firma. (Foto: Daniel Spehr, 2017)
Die Glastüre zum ehemaligen Empfang war mit dem ARFA-Logo versehen. (Foto: Daniel Spehr, 2017)
Geschichte der ARFA – Innovationsgeist und verpasste Chancen
Waren in Basel bis Mitte des 19. Jahrhunderts Brunnenwerke für die Wasserversorgung verantwortlich, so sollte sich dies in der zweiten Jahrhunderthälfte drastisch ändern. In den 1860er-Jahren entstand ein rund 30 km langes Leitungsnetz aus Gusseisenrohren, welches in vielen Basler Haushalten die Versorgung mit Hauswasser ermöglichte. Zeitgleich wurden auch Hausentwässerungssysteme sowie Kanalisationsanlagen erbaut. Wegen der hohen Baukosten dieser Wasserversorgungssysteme vergingen einige Jahre, bis schliesslich 1918 ein Grossteil der Basler Haushalte an das Kanalisationssystem angeschlossen war. Die Gusseisenrohre erwiesen sich aber auf die Länge als undicht und waren schwer montierbar. Deshalb nahm die Röhrenbranche zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Produktion von leichteren und widerstandsfähigeren Rohren aus Schmiedeeisen auf.
Hier beginnt nun die Geschichte der ARFA. 1917 fing der Basler Installateur Gustav Keller mit der Vorfabrikation von Abflussleitungen an. Kurz darauf erweiterte er sein Geschäft und gründete mit einem Partner die Firma Keller-Schweizer. Rund 20 Jahre befand sich der Sitz der Firma an der Kohlenstrasse 10 in Basel, wo sie finanziell gerade so über die Runden kam. Nach der Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre stellte die Materialknappheit während des Zweiten Weltkriegs eine grosse Herausforderung dar. Bis in die Nachkriegszeit fehlte es stets an finanziellen Ressourcen. Dies ändert sich 1945, als Max Hegnauer Geschäftsleiter der damals bereits unbenannten Keller Röhren AG wird. Da dieser zuvor in grösseren Industriebetrieben gearbeitet und Erfahrungen in den verschiedensten Bereichen gesammelt hatte, setzte der damalige Verwaltungsratspräsident Dr. Hockenjos grosse Hoffnungen in ihn. Zudem kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine allgemeine Zuversicht auf, und so begann für die Keller Röhren AG ein neues Kapitel – eingeläutet 1949 durch die Umbenennung der Firma in ARFA und den Umzug auf den Dreispitz.
Hegnauers Vision bestand schliesslich darin, eine eigene, moderne Röhrenproduktion zu schaffen. Zudem beschlossen die Verantwortlichen der ARFA, parallel zur bereits bestehenden Vorfabrikation ein drittes Standbein im Bereich Apparatebau aufzubauen. Damit ist auch das «A» im Namen ARFA erklärt. Im Bereich Apparatebau spezialisierte man sich auf lufttechnische Apparate. Genauer gesagt, produzierte die ARFA sogenannte Sichter für Mühlen und vertrieb diese anschliessend vor allem in Italien.
In den 50er-Jahren folgte die langersehnte Erholung der Schweizer Wirtschaft, von der auch die ARFA profitierte. Die Verkaufszahlen stiegen und in verschiedenen technischen Bereichen wurden Fortschritte gemacht: So revolutionierte das neue Hochfrequenzschweissverfahren die Röhrenproduktion mit bis zu dreimal höherer Schweissgeschwindigkeit und nahezu perfekten Schweissnähten. Zugleich profitierten die Stahlabflussrohre (KS-Rohre) von einer neuen Bautechnik. Die Rohre wurden nun direkt in die armierte Betondecke eingeplant. Die Befestigungsstützen, welche die ARFA in die vorfabrizierten Rohre schweisste, erwiesen sich als überzeugendes Verkaufsargument. Trotz dieser technischen Fortschritte blieb ein grosses Problem bestehen: der Rost. Obwohl Stahlrohre viele Vorteile aufweisen, stellte die Korrosionsanfälligkeit einen klaren Nachteil dar. Zahlreiche Versuche, einen Überzug aus Lack zu fabrizieren, verliefen erfolglos. Deshalb begann eine kleine Abteilung damals mit der Entwicklung eines Kunststoffüberzugs. Aufgrund des fehlenden Korrosionsschutzes begann die ARFA nebenbei mit der Produktion von Edelstahlrohren. Erst im Jahr 1966, nach fast zehnjähriger Entwicklungsarbeit, erreichte die ARFA mit der vollendeten Entwicklung eines Kunststoffüberzugs einen Meilenstein. Der Kunststoffüberzug wurde unter dem Namen ARFA-FERROPLAST rechtlich geschützt, die Lizenzen anschliessend an eine japanische Firma verkauft.
Seit den 1950er-Jahren fanden die «KS-Rohre» (Stahlabflussleitungen) bei Kunden grossen Anklang. (Undatiertes Foto aus dem Privatbesitz eines ARFA-Mitarbeiters)
1966 war die Entwicklung eines Kunststoffüberzugs für Abflussleitungen vollendet. Auf diesem aus dem Privatbesitz eines Mitarbeiters stammenden Foto appliziert ein Mitarbeiter die Ferroplast-Beschichtung.
In den 70er-Jahren befand sich die Baubranche in einer Phase der Hochkonjunktur. Trotz Umstrukturierungen innerhalb der bereits bestehenden Infrastruktur konnte der Betrieb die wachsende Auftragslast kaum noch bewältigen. In dieser Situation entschied sich der Geschäftsleiter Max Hegnauer, nach Lausanne umzusiedeln. Dort hatte die ARFA vor Kurzem die Firma Microtube SA übernommen, die sich mit der Weiterentwicklung des Spezialprodukts «Microtube» befasste. Die Leitung in Basel übernahm Gerhard Wetzel, welcher seit vielen Jahren am Aufbau der ARFA beteiligt gewesen war. Unter Wetzel verkaufte die Geschäftsleitung 1975 die eigentlich erfolgreiche Sanitärabteilung an Von Roll, um Platz für die C-Stahlrohrproduktion zu schaffen. Für viele Mitarbeiter war dies der Anfang vom Ende, denn sobald die Konjunktur abflachte, fehlte der ARFA ein wichtiges Standbein.
Trotz der Abflachung der Bauhochkonjunktur erlebte die C-Stahlrohrabteilung in den 80er-Jahren noch einmal einen Aufschwung, als der Handel mit der USA wieder intensiviert wurde. Dieser brach jedoch 1988 aufgrund binnenwirtschaftlicher Probleme der USA wieder ein. Die ständigen Wechsel in der Geschäftsführung trugen in dieser Zeit zu einer weiteren Destabilisierung der Firma bei. In den späten 90er-Jahren verschlechterte sich die finanzielle Situation der ARFA. Die verpasste Gelegenheit, in Kunststoffrohre zu investieren, traf auf die rückläufige Nachfrage im Stahlmarkt sowie auf schlechte Marktaussichten im Euroraum. All dies deutete nicht auf eine lukrative Zukunft der Firma hin, welche dann auch 2013 ihre Pforten schloss.
Fortschrittsoptimismus und Teamgeist – die Hegnauers
Als wir 2017 Walter Hagen und Christian Glattfelder, zwei ehemalige Mitarbeiter, zum Gespräch treffen, gibt es die ARFA bereits nicht mehr. Im Gespräch mit den beiden «ARFA Urgesteinen» wird klar, dass der Name Hegnauer für mehr als nur eine Geschäftsleitung steht.
Die «Herren Hegnauer» – damit gemeint sind Max und sein Bruder Walter Hegnauer – scheinen nicht nur das Zentrum einer Firma, sondern der Kern eines gemeinsamen Projekts gewesen zu sein. Max Hegnauer stieg in die ARFA ein, als sich diese in einem Krisenmoment befand, was den damals 34-jährigen jedoch nicht davon abhielt, Geschäftsführer zu werden. Er nahm sich der Situation an und setzte den Grundstein für den späteren Erfolg des Unternehmens. Sein Optimismus, sein Mut, neue Chancen zu ergreifen, aber auch das praxisorientierte Denken waren ansteckend und motivierend zugleich.
Die Eingänge zur Materialprüfung, zum Maschinenlager und zum Werkzeuglager der ARFA sind 2016 noch angeschrieben. (Foto: Daniel Spehr)
Walter Hagen stieg 1950 als Schweisser bei der ARFA ein. Da die Korrosionsanfälligkeit von C-Stahlrohren zunehmend zu Problemen führte, fing er an, in einem Labor zu forschen: «Ich forschte mit einem Chemiker zusammen im Labor, und das Ziel war eigentlich, einen Kunststoffüberzug herzustellen, welcher auf das Stahlrohr ging. Da arbeiteten wir etwa zehn Jahre daran. Wir waren wahrscheinlich die Ersten auf der Welt, die einen brauchbaren Kunststoffüberzug auf einem vorgefertigten Stück hatten.» Abgesehen von einigen Chemiekursen, welche Hagen in dieser Zeit an der Volkshochschule absolvierte, wurde er nie weitergebildet. Er war ja «mitten im Prozess», wie er selbst sagt. Später wurde Hagen an den neuen Standort in Möhlin versetzt, half dort bei der Planung und beim Aufbau der «rostfreien Abteilung» und übernahm darauf die Betriebsdatenerfassung der ganzen Abteilung. Hagen arbeitete 45 Jahre lang in der ARFA und legte einen wahrhaftig weiten Weg zurück – vom Schweisser zum Betriebsdatenerfasser.
Auch Christian Glattfelder, welcher 1975 in die ARFA eintrat, erinnert sich gerne an «diese Jahre» zurück, in denen man so viel profitierte und lernte. Glattfelder stieg zunächst als Maschinenkonstrukteur ein, wobei ihm bald neue Türen geöffnet wurden. Er beteiligte sich an Modellbauprojekten und war zum Schluss gar der Leiter der Technikabteilung. Auch Glattfelder hat nur Fernkurse zur Weiterbildung belegt. Er sagt lachend: «Das war halt so eine ARFA-Krankheit.» Aber auch er spricht euphorisch vom damaligen Arbeitsklima und bestätigt, dass es ein lebendiger und kein statischer Betrieb gewesen sei.
Als Max Hegnauer in den späten 70er-Jahren die ARFA verliess, ging den Mitarbeitern also nicht nur ein guter Geschäftsleiter, sondern ein Vorbild und ein Wegleiter verloren. Die Nachfolger konnten den auf der Leidenschaft für den Beruf basierenden Teamgeist nur beschränkt aufrechterhalten.
ARFA – Kurz für?
Leidenschaft wurde aber nicht nur für den Beruf, sondern auch für den Feierabend aufgebracht. Die berüchtigten ARFA-Abende blieben in positiver Erinnerung, denn diese zeigten, dass es sich hier um mehr als eine Arbeit handelte. Christian Glattfelder redet gar von einer «ARFA-Kultur», welche damals den ARFA-Alltag umgab.
Zu Spitzenzeiten zogen sich rund 150 Arbeiter in der Garderobe im Untergeschoss um. (Foto: Daniel Spehr, 2016)
Die Vorarbeiter bekamen von der ARFA eine braune Arbeitsmontur bereitgestellt, alle anderen Arbeiter trugen blau. (Foto: Daniel Spehr, 2017)
Die gemeinsamen ARFA-Abende wurden 23 Jahre lang, bis 1970, regelmässig abgehalten. Später gab es auch noch gemeinsame Reisen durch die Schweiz. «Die Hegnauers» selbst haben keinen einzigen Anlass versäumt und waren immer vorne mit dabei. Solche Abende beinhalteten immer reichlich zu trinken, aber auch zahlreiche Darbietungen. So wurde beispielsweise ein ARFA-Lied komponiert, «Schnitzelbängg» wurden vorgetragen. Die Abendprogramme waren richtige Unterhaltungsabende, die viele Jahre lang nur von «ARFA-Leuten» gestaltet und getragen wurden. Christian Glattfelder erinnert sich gerne an diese Zeiten zurück: «Das war eine andere Kultur. Man hat sich getroffen, man war mal beim technischen Direktor zuhause und hat ein Bierchen getrunken miteinander.» Die Stimmung war familiär und teils wohl auch ausgelassen, aber diese Abende scheinen ein essenzieller Teil der ARFA gewesen zu sein. So fragt uns Walter Hagen am Ende unseres Gesprächs schmunzelnd, ob wir denn wüssten, wofür ARFA eigentlich stehe, und gibt die Antwort gleich selber: «Aktiengesellschaft für rauschende Feste mit Alkohol».
Christian Glattfelder
Walter Hagen
Christian Glattfelder, *1947, von Arlesheim, hat 35 Jahre bei der ARFA gearbeitet. Er stieg 1975 als Maschinenkonstrukteur ein, war gegen Ende Leiter der Technikabteilung und verliess die ARFA im Jahr 2010.
Walter Hagen war ebenfalls 35 Jahre Mitarbeiter der ARFA. Er begann 1950 als Schweisser ein und wurde 1995 pensioniert. Auch er war in unterschiedlichen Positionen bei der ARFA angestellt, unter anderem als Produktionsleiter im Betrieb in Möhlin und zuletzt als Prokurist.
Das Gespräch fand am 15. Juni 2017 im Büro von Schürch & Koellreuter am Leonhardsberg 14 in Basel statt.