Vom Dreispitz hinaus in die Welt: Eggers historische Blechblasinstrumente
Lina Schmid und Isabel Koellreuter
Fast hätten wir den Löwenkopf, das Signet von «Egger Instruments», übersehen: Der Eingang zum Gebäude verbirgt sich hinter der stattlichen Laderampe einer Lagerraum-Vermietung. Mit dem Lift fahren wir in den dritten Stock und betreten staunend eine ganz andere Welt, die Welt von Blechblas-Instrumentenbau Egger: eine wohlgefüllte Fotowand mit Musikerinnen und Musikern aller Kontinente, die sich hier ausstatten liessen, dazu hinter Vitrinen auf Hochglanz polierte, kunstvoll gravierte, golden glänzende Instrumente auf schwarzem Samt. In der Werkstatt hängen Schallbecher unterschiedlicher Grössen von der Decke, es wird geschliffen, geätzt, geklopft.
Im dritten Stock des Gebäudes an der Venedig-Strasse 31 befinden sich die Räumlichkeiten mit der Werkstatt der Firma Egger. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Reparaturen für das Regimentspiel
Rosa und Rainer Egger – sie führten den Betrieb bis Mitte 2019 gemeinsam – empfangen uns in ihrem Büro, wo sie trotz Pensionierung noch immer oft anzutreffen sind. Sie erzählen vom Ursprung des Unternehmens in einer kleinen Velowerkstatt im Kleinbasel, wo Rainers Vater Adolph Egger während des Zweiten Weltkriegs in seiner knapp bemessenen freien Zeit die Instrumente des Regimentspiels, in welchem er Aktivdienst leistete, reparierte. Der gelernte Blechblasinstrumentenbauer war am Vierwaldstättersee stationiert. Mit den Reparaturen gelang es ihm mehr schlecht als recht, bei laufendem Aktivdienst seinen erst 1940 gegründeten Betrieb über Wasser zu halten.
Nach Kriegsende konnte er am Klosterberg 11 eine eigene Werkstatt eröffnen. In der Nachkriegszeit hatte der Instrumentenbau in der Schweiz allerdings einen schweren Stand, da grosse Instrumentenhersteller aus England und den USA in den Markt drängten. Ihre hohen Produktionszahlen und günstigen Preise brachten viele hiesige Instrumentenbauer dazu, in den Handel mit Instrumenten einzusteigen und die eigene Produktion aufzugeben. Adolph Egger, der Instrumente gerne selber herstellte, sah in der Ausführung von Reparaturen eine Möglichkeit, sein Handwerk weiterhin zu betreiben: «Er war einer von wenigen im Umkreis, der Mundstücke noch selber produzierte», erzählt sein Sohn. Suchten Musiker etwas Spezielles, wandten sie sich deshalb an ihn.
Adolph und Rainer Egger in der Werkstatt an der Wallstrasse um 1965. (Archiv Egger GmbH)
Rainer und Adolph Egger mit Paul Spörri, Solotrompeter der Berliner Philharmoniker und später des Basler Sinfonieorchesters. (Archiv Egger GmbH)
In seiner Kindheit verbrachte Rainer Egger viel Zeit in der Werkstatt des Vaters und durfte auch mithelfen, Röhrchen biegen zum Beispiel. So wuchs er in das Handwerk hinein. Zwar wäre er als Jugendlicher gerne Lokomotivführer geworden, doch weil es dem Vater gesundheitlich nicht gut ging, fühlte er sich verpflichtet, miteinzusteigen und die Lehre im väterlichen Betrieb zu absolvieren. An der Gewerbeschule wurde er zusammen mit dem Lehrling von Musik Hug bei den Spenglern eingeteilt. Anschliessend durfte er in Ludwigsburg einen spezialisierten Lehrgang für Instrumentenbauer besuchen, wo er erstmals fasziniert realisierte, dass Instrumentenbau nicht nur Handwerk, sondern auch Physik ist.
Eine Chance fürs Handwerk: Wachsendes Interesse an historischen Instrumenten
Noch vor Antritt seiner Lehre traf Rainer Egger in der Werkstatt des Vaters wiederholt den amerikanischen Trompeter und Musikwissenschaftler Dr. Edward H. Tarr, der bei Adolph Egger spezielle Trompeten anfertigen oder reparieren liess. Tarr interessierte sich speziell für historische Instrumente. Der junge Rainer Egger liess sich von dessen Begeisterung anstecken: «Mich faszinierte das von Anfang an», hält er rückblickend fest. Die Begegnung mit Tarr, der später an der Musikhochschule Basel und der Schola Cantorum Basiliensis unterrichtete, wurde für die Weiterentwicklung des Betriebes entscheidend.
Zusammen mit seinem Vater begann Rainer Egger, mit der Herstellung erster Barocktrompeten zu experimentieren. Als er den väterlichen Betrieb schliesslich übernahm, bot ihm der Bau historischer Blasinstrumente auch die Chance, bei seinem Handwerk zu bleiben, denn zu der Zeit gab es dafür kaum andere Hersteller. Ausserdem war in der Musik- und Konzertszene der Sechziger- und Siebzigerjahre eine wachsende Auseinandersetzung mit historischer Spielpraxis spürbar, was den jungen Instrumentenbauer in seinem Vorhaben bestärkte.
Die Herstellung von historischen Trompeten und Posaunen erforderte jedoch ein Umdenken. Die Instrumente unterschieden sich nicht nur der Form nach von den modernen Modellen – sie waren in den vergangenen Jahrhunderten auch aus anderem Material gefertigt worden. So enthielten die Blechblasinstrumente des 19. Jahrhunderts oftmals Nickel, das als besonders widerstandsfähig galt; nicht unwesentlich beispielsweise für Schiffshörner, die auf hoher See Wind und Wetter standhalten sollten. Und im 17. und 18. Jahrhundert waren die Legierungen generell unreiner und mit diversen Spurenelementen durchsetzt. Diese Legierungen, da war sich Rainer Egger sicher, mussten auf den Klang der Instrumente einen erheblichen Einfluss haben. Sie waren allerdings kaum noch erhältlich und stellten eine von vielen Herausforderungen dar, mit denen er sich bei der Suche nach dem «originalen Klang» konfrontiert sah.
Bei der Suche nach den speziellen Legierungen hat Egger Instruments weltweit in vielen Metallwerken gesucht und schliesslich auch mit einem kleinen Blechhersteller konkret experimentiert. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Vom Schall- zum Mundstück
Ist das richtige Material gefunden, wird ein Bauplan angefertigt, in welchem jedes Detail des Originalinstruments berücksichtigt ist. In der Anfangszeit kaufte Rainer Egger Schallstücke zu, doch das Endresultat stellte ihn nicht zufrieden. So übernahm er auch deren Herstellung, was sich bewährte: Nach wie vor werden die meisten Schallstücke in der Werkstatt auf dem Dreispitz angefertigt. Dafür werden Bleche zugeschnitten, gefaltet, verzahnt und gelötet. In einem langen und aufwendigen Prozess wird das Material gehämmert und geformt. Diese Verarbeitungsweise hat einen spürbaren Einfluss auf den Klang, da sich die Oberflächenstruktur beim Hämmern wesentlich verändert. Viel Zeit nehmen Feinarbeiten in Anspruch – und nicht zuletzt geht’s auch um die Optik des Instruments.
Vom Blechzuschnitt bis zum gehämmerten Schallstück. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Zwischen den einzelnen Arbeitsgängen des Aushämmerns wird das Schallstück ausgeglüht, um Rissbildungen im Blech zu vermeiden. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Handwerk, Engineering und Kunst
Zu Beginn seines Weges hin zur Spezialisierung spürte Rainer Egger historische Instrumente in Museen auf und baute sie nach. Dabei stützte er sich auf seine handwerkliche Erfahrung, wenn er die jeweiligen Baupläne erarbeitete. Bald merkte er jedoch, dass handwerkliches Können allein nicht ausreichte, es vielmehr auch der Ingenieurwissenschaft bedurfte, und dass physikalische Schallberechnungen wichtige Grundlagen liefern können. So begann er sich anhand spezialisierter Zeitschriften weiterzubilden, besuchte Workshops und Kurse. Durch die Aneignung von akustischen Grundlagen gelang es ihm, bewusster zu arbeiten und Instrumente anzufertigen, die den historischen Vorbildern noch näherkamen.
Die Baupläne der historischen Instrumente wurden durch Rainer Egger und seine Mitarbeitenden erarbeitet. (Foto Daniel Spehr, 2021)
Die Erkenntnis, dass es im Instrumentenbau nicht um handwerkliche Fertigkeiten allein geht, war für Rainer Egger zentral. Relativ bald begann er die Mensurberechnungen, das heisst die Abmessungen der Rohre, auf dem Computer selber zu programmieren. Auf deren Basis fertigte er dann die Schallstücke und Rohrteile an. Damals stellte er jedoch auch fest, dass die Instrumente in der Kunst und in der musikalischen Praxis funktionieren müssen. Deshalb gehört neben Rechnen und handwerklichem Geschick auch das Ausprobieren und das Anpassen dazu, bis der richtige Klang und das gewünschte musikalisch-akustische Verhalten des Instruments erreicht sind.
Aida-Trompeten für Nikolaus Harnoncourt
Aus dem Ein-Mann-Betrieb des Vaters ist eine hochspezialisierte, international anerkannte Instrumentenmanufaktur mit rund fünfzehn Angestellten geworden. Dass die Firma sich so entwickeln konnte, ist auch das Verdienst von Rosa Egger. Die Ergotherapeutin kam 1977 von Wien nach Basel, um hier nach der abgeschlossenen Ausbildung weitere Berufserfahrung zu sammeln. Kurz vor der geplanten Rückkehr nach Österreich lernte sie Rainer Egger kennen, die beiden heirateten und Rosa Egger übernahm die Geschäftsführung. «Nur dank ihr konnte das so wachsen», betont Rainer Egger, denn «das Technische und Handwerkliche allein reicht nicht, um eine Firma zu führen».
Ein Blick in die Werkstatt zeigt, dass Egger heute die meisten Instrumententeile auf Lager herstellt. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Die Pumpventiltrompeten der Marke Galileo gibt es in verschiedensten Ausführungen. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Im Jahr 2008 kaufte Egger die Blechblasinstrumentenmarke Galileo aus Radolfzell zu, «eine gute Ergänzung» laut Rainer Egger. Seither werden in der Werkstatt auf dem Dreispitz auch zeitgenössische Instrumente produziert. Heute gilt Egger als Marktführer im historischen Instrumentenbau und als weltweit grösster Hersteller von Barocktrompeten. Ein nicht unwesentlicher Teil der historischen Instrumente wird nach Japan und in die USA verkauft. Die Firma arbeitet für berühmte Musiker:innen wie Alison Balsom und Reinhold Friedrich. Speziell erinnerungswürdig bleibt ein vom österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt angeregter Auftrag. Er war einer der Pioniere der historischen Aufführungspraxis und wollte für eine Aufführung von «Aida» im Zürcher Opernhaus im Jahr 1997 sechs Aida-Trompeten (spezielle, ca. 1,5 m lange Fanfarentrompeten) nach seinen Klangvorstellungen angefertigt haben. Im Kulissenkeller des Opernhauses bliesen die Trompeter die Instrumente unter der Beobachtung Harnoncourts an. Rainer Egger erinnert sich noch heute an die Reaktion der Musikkoryphäe: «Er sagte, er habe noch nie eine schönere Aida-Trompete gehört.»
Rosa und Rainer Egger. (Foto: Daniel Spehr, 2021)
Rainer Egger, *1947, aus Basel, absolvierte seine Lehre als Blechblasinstrumentenbauer im väterlichen Betrieb. Nach dem Tod seines Vaters Adolph Egger übernahm er das Geschäft. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2019 ging das Unternehmen an den Maschinenbauingenieur, Betriebswirtschafter und semiprofessionellen Trompeter Peter Boeckels über.
Rosa Egger, *1954, schloss in Wien die Ausbildung zur Ergotherapeutin ab und reiste nach Basel, um im Felix-Platter-Spital und weiteren Basler Spitälern Berufserfahrung zu sammeln. Hier lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Rainer Egger kennen und stieg 1985 in den Familienbetrieb ein. Obschon sie beide pensioniert sind, arbeiten sie nach wie vor weiter im Betrieb mit.
Das Gespräch fand am 23. September 2021 bei Egger Instruments an der Venedig-Strasse 31 statt. Mit Rosa und Rainer Egger redeten Isabel Koellreuter und Lina Schmid.